Erster Finaltag

Buettners Geldkoffer, Aronians Rap und Carlsens positioneller Filter

Firouzja und Keymer starten mit Siegen ins letzte Match

Als Jan Henric Buettner den Plexiglaskoffer mit 60.000 Dollar am Kommentatorenpult stehen ließ, fragte sich Peter Leko, ob er nicht sein Samuraischwert mit nach Weissenhaus hätte nehmen sollen. Damit könnte er bis zur Siegerehrung den Schatz vor Langfingern verteidigen.

Noch hat das Preisgeld für Platz eins keinen Besitzer, und es erscheint offen, wer am Freitag diesen größten Geldkoffer bekommt. Magnus Carlsen mag leichter Favorit sein, aber Fabiano Caruana ist, wie im WM-Match 2018, ein Gegner auf Augenhöhe. In der ersten Finalpartie am Donnerstag trennten sich die beiden remis. Sollte am Freitag auch die zweite remis enden, fürchtet Caruana das Rapid-Stechen nicht, wie er in unserem Interview erklärt hat.

Lekos Samuraischwert ist der Öffentlichkeit erstmals im Juli 2023 aufgefallen, als er an der Seite von Tania Sachdev den World Cup kommentierte – unter hinter ihm in seinem Schachzimmer die japanische Waffe zu sehen war. Sie repräsentiert Lekos Leidenschaft für die Werke des japanischen Schwertkämpfers Miyamoto Musashi (1584-1645).

Anders als Musashi, dessen Weg  manche Leiche pflasterte, hat Leko sein Samuraischwert noch nicht im Kampf eingesetzt. Aber schon im Sommer 2023 schloss er nicht aus, dass es dazu noch kommt, sollte sich eine Notlage ergeben. Das Verteidigen des Weissenhaus-Preisgelds wäre eine solche.

WEISSENHAUS Freestyle Chess 2025

Allemal ist Leko für die 2025er-Edition vorgewarnt. Im nächsten Jahr wird noch mehr Geld im Koffer liegen. Im Stream zum ersten von zwei Finaltagen kündigte Buettner an, dass die WEISSENHAUS Freestyle Chess G.O.A.T. Challenge 2025 nicht mehr, wie noch vor wenigen Tagen, sehr wahrscheinlich ist, sondern beschlossene Sache. Und das mit höherem Preisgeld als 2024. Darüber hinaus stellte Buettner weitere Schachprojekte in Aussicht, aber es würden noch ein, zwei Monate vergehen, bis diese beschlossen seien.

Während Buettner vor dem Finalauftakt einen Abend und eine Nacht mit intensiven Schachtelefonaten verbracht hatte, verbissen sich seine Supergroßmeister in eine intensive Debatte. Die hatte mit Schach wenig zu tun, obwohl doch der zweite Halbfinaltag mit dem dramatischen Aronian-Caruana-Match reichlich Gesprächsstoff geboten hätte.

Stattdessen ging es um Rap und Reimkunst, genauer: um die Frage, ob sich „Rook e1“ auf „Yerevan“ reimt. Nach seiner Halbfinalniederlage gegen Fabiano Caruana hatte sich Aronian den von ihm geschätzten schönen Künsten gewidmet. Die Freestyle-Rap-Challenge kam ihm gerade recht. Eigentlich sind Zuschauerinnen und Zuschauer des Turniers aufgerufen, einen Rap einzureichen. Mit Aronian hat sich nun ein Spieler beteiligt.

Seine Zeilen präsentierte er beim Abendessen den Kollegen aus der Supergroßmeisterzunft. Und die standen angesichts Aronians Freestyle-Rap vor einer Frage, wie sie sich oft ergibt, wenn sie Aronians Schachzüge sehen: Geht da die Kreativität mit ihm durch, oder ist das legitim, vielleicht sogar brillant?

Am Donnerstag im Match um Platz drei gegen Nodirbek Abdusattorov lag die Antwort auf der Hand: brillant! In einem verlorenen Turmenspiel erspähte Aronian einen raffinierten Patt-Trick, der Abdusattorov entging (wie es schon 1946 Wassily Smyslow ergangen war, siehe weiter unten). Aronian rettete sich ins Remis. Freitag kämpfen die beiden beim Stand von 0,5:0,5 um den dritten Platz und einen etwas kleineren, aber immer noch veritabel gefüllten Geldkoffer, in dem sich 30.000 Dollar befinden.

Die besten Aussichten auf Platz 5 (und damit die Qualifikation fürs Turnier 2025) hat Alireza Firouzja, der seine Weißpartie gegen Gukesh gewann. Am 10.000-Dollar-Koffer für Platz 7 hat Vincent Keymer mehr als eine Hand. Keymer besiegte Ding Liren.

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Die heutige Stellung. Der ungedeckte Bauer auf f7 löste eine Debatte zwischen Magnus und Henrik Carlsen über schutzlose Bauern in Ausgangsstellungen aus.

Fabiano Caruana vs. Magnus Carlsen 0,5:0,5

Als Partner für eine Schachdebatte vor der Partie hatte sich Magnus Carlsen an seinen Vater gewandt. Angesichts des ungedeckten Bauern f7 in der Grundstellung des Tages fragten sich die Carlsens, ob es möglich ist, dass in einer Grundstellung sogar zwei Bauern ungedeckt sind. Zu einer eindeutigen Antwort kamen sie nicht.

Die lieferte sehr bald die Schachszene auf X/Twitter.

Und ob das möglich ist!

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Fabiano Caruana vor Carlsens „Moderner Verteidigung“. Foto: Maria Emelianova

Am Brett gegen Fabiano Caruana hielt sich Carlsen nicht lange mit dem schwachen Punkt f7 auf, den kennt er ja aus dem traditionellen Schach. Stattdessen suchte er einen Weg, möglichst risikofrei eine möglichst einfache Partie zu spielen. Carlsen fühlte sich ein wenig malad und daher nicht in der Verfassung, gegen einen Caruana in Topform ein komplexes Gefecht anzuzetteln.

Der Norweger entkorkte nach fünfminütigem Nachdenken über den ersten Zug ein bekanntes Muster, um Caruanas 1.d4 den Zahn zu ziehen: die moderne Verteidigung …g6, …d6 und …e5, die sich als wirksames Mittel entpuppte, weiße Aufmarschpläne im Zentrum zu entschärfen. Schon ausgangs der Eröffnung sah Caruana keine Ziele mehr, keine Pläne, um zu Vorteil zu kommen, und bemühte sich stattdessen, die Partie abzumoderieren.

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Mit Erfolg – weil Carlsen an einer Stelle automatisch zurückschlug, anstatt innezuhalten. „Es fühlte sich an, als sei ich im Vorteil, aber mir ist nichts Konkretes aufgefallen, das ich hätte anders machen können“, erklärte Carlsen nach der Partie.

Im 17. Zug hätte ihm etwas auffallen können. Aber 17…Lxe6?! sah so natürlich aus, dass die Alternative 17…Txe6 im „positionellen Filter“ des Exweltmeisters hängenblieb. Nachdem diese Chance, das Kommando zu übernehmen, verstrichen war, verflachte die Partie.

Nodirbek Abdusattorov – Levon Aronian 0,5:0,5

Ein genialer Patt-Trick bewahrte Aronian vor einer Niederlage in der ersten Partie des Kampfes um den dritten Platz. Abdusattorov muss sich nicht allzu schlecht fühlen, weil er ihn verpasst hat, denn der 25-jährige Vassily Smyslov ist schon einmal auf denselben Trick hereingefallen (gegen Ossip Bernstein, beim Staunton Memorial 1946 in Groningen). Es ist zu schön, um es hier nicht mit einem Diagramm zu zeigen:

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Hier spielte Aronian 46…Kc4!! mit der Idee 47.Txe4+ Kb3 48.g4 Txg4! 49.Txg4 patt.

„Ja, das war sehr schwierig“, sagte Aronian nach der Partie. „Ich hatte Glück, dass ich diesen Zug in dieser Stellung bekam. Ich dachte, ich stünde so gut, und dann habe ich es ruiniert. Es ist gut, dass ich es geschafft habe zu überleben.“

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Ein genialer Aronian hielt das Remis mit einem prächtigen Schwindel. Foto: Maria Emelianova.

Der amerikanisch-armenische Großmeister kam eigentlich besser aus der Eröffnung, aber sein Spiel war wahrscheinlich von der Müdigkeit nach dem anstrengenden Match gegen Caruana am Vortag beeinflusst: „Klar, das kann man so sehen, so wie ich gespielt habe! Aus einer Stellung, in der ich keine Chance habe, schlechter zu stehen, eine schlechtere Stellung zu bekommen, ist natürlich peinlich.“

Ein unvorsichtiger Zug im 14. Zug verschenkte den Vorteil, und in Zeitnot, als die Spieler eine komplizierte Stellung nur mit Bauern und Schwerfiguren erreicht hatten, wurde es für Aronian noch schlimmer. Er landete in einem verlorenen Turmendspiel, kannte dann aber seine Klassiker aus der Schwindelabteilung.

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Abdusattorov hatte den teuflischen Trick von Aronian übersehen. Foto: Maria Emelianova.

Alireza Firouzja vs. Gukesh 1:0

Firouzja machte einen Schritt in Richtung des fünften Platzes und damit der Qualifikation für die nächstjährige Ausgabe. Er besiegte Gukesh in einer beeindruckenden Partie, in der er einen Bauern und dann eine Qualität opferte, um den Rest der Partie mit einem starken Springer auf e6 zu dominieren. „Ich hatte das Gefühl, dass es für Schwarz sehr gefährlich ist“, sagte er dazu. „Ich dachte, er könnte hier bestenfalls ein Remis erreichen.“

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Die Stellung nach dem Qualitätsopfer von Weiß.

Eine interessanter Aspekt dieses Springers auf e6 war, dass Firouzja diesmal wusste, dass Schwarz trotz dieses Springers rochieren konnte. Am Tag zuvor hatte er Dings lange Rochade übersehen und hätte fast Schiedsrichter Gregor Johann gefragt, ob sie legal ist!

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Gukesh antwortet auf 1.e4 mit 1…e5. Foto: Maria Emelianova.

In der Eröffnungsphase spielte der französisch-iranische Großmeister bemerkenswert schnell: Er benötigte nur drei Minuten und fünf Sekunden für seine ersten elf Züge. Hinterher gab er lächelnd zu, dass er anfangs viel schlechter stand.

„Ich denke, es kostet mich viel Energie, vom ersten Zug an zu denken“, erklärte Firouzja. „Trotzdem werden wir irgendwann eine spielbare Stellung bekommen, und dann möchte ich Zeit und Energie sparen, also denke ich nicht gerne in der Eröffnung.“

Nach Firouzjas Qualitätsopfer stand Gukesh zwar unter großem Druck, kam aber gut damit zurecht. Es gab sogar einen Moment, in dem er eine remisliche Stellung hätte erreichen können, aber mit fünf Minuten auf der Uhr für drei weitere Züge war das zu schwierig zu finden. Im 42. Zug gab er die Partie auf.

Firouzja sagte, er müsse morgen trotzdem vorsichtig sein: „Er hat immer gute Comebacks, also wird es morgen schwer werden.“

Firouzja ist großer Fan des Freistilschachs, und sein Argument dafür klang ebenso einfach wie überzeugend: „Ich mag es sehr. Wir verbrauchen unsere Energie nicht vor der Partie, sondern stecken alle Energie in die Partie. Das ergibt sehr viel Sinn. Ja, ich denke, es muss mehr gespielt werden, es ergibt keinen Sinn, immer die gleiche Stellung zu spielen.“

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Firouzja braucht morgen nur ein Unentschieden, um sich den fünften Platz zu sichern. Foto: Maria Emelianova.

Vincent Keymer vs. Ding Liren 1:0

Ob Peter Leko je die Ding-Metaphern ausgehen? Gestern bedauerte er den Weltmeister dafür, dass er in jeder Partie „in ein Minenfeld“ tappt, heute musste er mitansehen, dass sich alles, was Ding versucht, „in Staub auflöst“. „Freestyle Chess ist zu Dings Feind geworden“, konstatierte Leko, nachdem Vincent Keymer den Chinesen in bestem Keymer-Stil und in weniger als zwei Stunden überspielt hatte.

Wie Carlsen konterte Ding Liren 1.d4 mit 1…g6, baute sich aber mit 2…f5 auf. Schon der vierte Zug, das positionell anrüchige …d5, mag der Beginn der folgenden Demonstration Keymers sein. Wie in der Vorrunde besiegte die deutsche Nummer eins den Weltmeister. Ding Liren muss am Freitag mit Weiß gewinnen, um ein Stechen zu erzwingen.

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Gegen Vincent Keymer lief die Partie für Ding Liren wieder einmal nicht gut. Foto: Maria Emelianova

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